Der 12. Bremer Filmpreis der Kunst- und Kultur-Stiftung der Sparkasse Bremen für besondere Verdienste um den europäischen Film geht an den österreichischen Regisseur, Autoren und Produzenten Ulrich Seidl.

Der 1952 in Horn/NÖ geborene und in Wien lebende Filmemacher Ulrich Seidl sollte nach dem Wunsch seiner Eltern Priester werden. Nach einem misslungenen Start im Jesuitenkolleg Kalksburg kam er zu den Schulbrüdern nach Klosterneuburg, wo er auch maturierte. Er studierte Publizistik, Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte. Sein Studium finanzierte er mit Jobs als Nachtwächter, Lagerarbeiter und als Proband für die Medikamentenindustrie. Erst mit 26 Jahren entschloss er sich, die Filmakademie zu besuchen, die er nach seinem Debüt Einsvierzig (1980) und dem von den Professoren als zu unorthodox abgelehnten Film Der Ball (1982) ohne gültigen Abschluss wieder verließ. Dennoch machte er sich einen Namen als Filmemacher: Bekannt wurde Seidl 1990 durch Good News, einen Film über die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Wiener Zeitungskolporteuren, der aber dem Österreichischen Filminstitut missfiel. Nun schritt der Altmeister des Films Werner Herzog ein, um dem ÖFI Geld zu entlocken und Seidl bei Filmfestival Locarno zu positionieren. Es folgten Mit Verlust ist zu rechnen (1992), ein Film über österreichisch-tschechische Grenzbegegnungen, sowie Die letzten Männer (1994), in dem er sich mit der Vorliebe österreichischer Männer für asiatische Ehefrauen auseinander setzt. 1995 entstand Tierische Liebe, eine umstrittene satirische Dokumentarstudie über die Tierleidenschaft vieler Österreicher. Busenfreund hieß das Porträt eines ungewöhnlichen Mathematiklehrers aus dem Jahr 1997. Mit der Semidokumentation Models (1998) über Licht- und Schattenwelt des Modeldaseins wagte Seidl erstmals den Schritt in eine neue Richtung, weg vom reinen Dokumentarfilm hin zum Spielfilm. Mit Hundstage gewann er 2001 den Großen Preis der Jury bei den 58. Filmfestspielen in Venedig. Mit dem Dokumentarfilm Jesus, Du weißt (2003), ein ungewöhnliches Porträt von Menschen und ihrer ganz persönlichen Beziehung zu Jesus Christus, feierte Seidl weitere Erfolge: Der Film wurde in Karlovy Vary, bei der Viennale und in Montreal ausgezeichnet und lief u. a. auf Festivals in Toronto, Chicago, New York, London, Amsterdam und Gent. Zusätzlich erhielt er für diesen Dokumentarfilm den Erich-Neuberg-Preis 2003 - eine jährlich vom ORF vergebene Auszeichnung für herausragende Regieleistungen des vorangegangenen Programmjahres. Im seinem neuesten Film Import Export, den die New York Times „verstörend und brillant“ charakterisierte, ist nun Seidl erneut im Wettbewerb von Cannes vertreten. Der „Spiegel“ bescheinigte ihm, „von allen Filmemachern derzeit am besten, mit einer Präzision, Lässigkeit und Bosheit das Innerste von leidenden Menschen in Bilder übersetzen“ zu können. (Stand 2010).

Aktuelle Informationen finden sich bei Wikipedia und auf der Künstlerwebsite.
 

Begründung der Jury

„In der Grässlichkeit“, sagt Ulrich Seidl, „ist immer Schönheit.“ Man sieht sie nur meistens nicht, diese Schönheit, und damit man sie entdeckt, braucht es jemanden wie Seidl, der sie im Hässlichen sucht. In den Filmen des 1952 in Wien geborenen Regisseurs geht es um Zuhälter und Wachschutzleute, glücklose Models und ukrainische Putzfrauen, demente Alte und stumpfe Vorstadtbewohner, es geht um die Tristesse ihrer Lebensverhältnisse, um den eingeschränkten Horizont, um die Gewalt und die Gemeinheiten, die sich die Menschen antun. Seidl schaut auf all dies mit einer Beharrlichkeit, die ihresgleichen sucht Den Vorwürfen, er weide sich am Elend der anderen, hält Seidl entgegen, dass er die Protagonisten seiner Filme, diese versehrten Gestalten, liebe. Wo die Kritiker Denunziation vermuten, spricht er von Zärtlichkeit. Je mehr seiner auf eigenartige Weise zwischen Dokumentation und Fiktion schwankenden Filme man gesehen hat, umso bereitwilliger glaubt man ihm: Seidl verfolgt das seltene Ziel, Würde dort herzustellen, wo die Verhältnisse keine Würde kennen.
 

Die Jury 

Cristina Nord, Filmredakteurin taz, Dozentin an der FU Berlin
Dr. Rainer Rother, Filmwissenschaftler und künstlerischer Direktor der Deutschen Kinemathek - Museum für Film und Fernsehen in Berlin
Pepe Danquart, Regisseur
 

Laudatio

Elfriede Gruber (alias Maria Hoffstädter, Schauspielerin)

Anekdote: Wenn Preisverleihungen manchmal auch etwas gediegen daher kommen können, verlief dieser Abend im gut besuchten Alten Rathaussaal ganz anders. Das Highlight war die urkomische Lobrede von Schauspielerin Maria Hoffstädter (HUNDSTAGE), die als Alter Ego Elfriede Gruber im beigen Trevirakostüm mit Stützstrumpfhosen und Hut überschwängliche wie mütterlich-besorgte Worte für das Werk Seidls fand. Sie kenne ihn schon lange und mag ihn halt sehr gerne, wenn sie auch nicht verstehe, warum er sich sein Leben so schwer mache. Er könne doch auch schöne Filme drehen.
 

Der 12. Bremer Filmpreis wurde von Piotr Rambowski gestaltet und „eingetütet“.

Einige Szenen aus dem Film „Good News – Von Kolporteuren, toten Hunden und anderen Wienern, 1990“ von Ulrich Seidl, haben mich stark an meine eigene Geschichte erinnert. Im Jahr 1988 kam ich als Spätaussiedler mit meiner Familie aus Tychy | Polen nach Deutschland. Als ich die Szene mit dem Zeitungsverkäufer an der Haltestelle gesehen habe, musste ich an Fotos meiner Geburtsstadt denken. Das war der Auslöser für mich, aus diesem Filmausschnitt, ein Standfoto zu benutzen. Daraus habe ich ein weiteres Gemälde zu der Serie „Haltestellen“ entstehen lassen. Das Besondere an diesem Bild sind die drei Plakate welche in der Haltestelle hängen. Sie verbinden die Vergangenheit mit der Gegenwart, die dann wiederum in der Zukunft zur Vergangenheit werden. Dieses Spiel mit den Zeiten wird bald als Video zu sehen sein. – Piotr Rambowski