„Die Reihe „Jazz‘n´the Movies“ blickt in diesem Jahr zurück auf eine zehnjährige Geschichte. Dokumentarfilme, Filme mit Jazz-Soundtrack, Animationsfilme, Konzertmitschnitte und Porträts: Von ca. 4.000 Jazz-Filmen haben wir bisher 53 Filme gezeigt. Wir hoffen, dass es uns dabei gelungen ist, Sie für die Kombination der beiden Kunstrichtungen Jazz und Film immer wieder neu zu begeistern.

In diesem Jahr ist Holland Gastland bei der Fachmesse „jazzahead“. Trotz intensiver Suche konnten wir nur einen Film finden, in dem die Musik des „Willem Breuker Kollektiefs“ eine wichtige Rolle spielt: „Der Illusionist“ von Jos Stelling. Und der Auftaktfilm „As Time Goes By in Shanghai“, hat einen – wenn auch kleinen – Bezug zum Gastland: Sechs betagte chinesische Jazzmusiker fahren von Shanghai zum Jazz-Festival nach Rotterdam. 

Freuen darf man sich im diesjährigen Programm auf den Film „Jazzfieber – The Story of German Jazz“. Der Filmemacher Reinhard Kungel zeigt in diesem Film, wie der Jazz einst nach Deutschland kam und sich trotz heftigem Gegenwind behaupten konnte. Musiker wie Klaus Doldinger, Max Greger, Paul Kuhn, Coco Schumann u.v.a. kommen zu Wort. Die Interviews und Archivaufnahmen werden dabei mit Bildern junger Jazzmusiker zu einem unterhaltsamen und spannenden Dokumentarfilm zusammengefügt.

Für den Film „Inside Scofield“ hat Regisseur Jörg Steineck den amerikanischen Jazzgitarristen John Scofield 2018 über mehrere Wochen auf einer Tour begleitet. Steineck über Scofield: „Er spielt, als wenn er sein Innerstes Selbst durch sein Instrument zum Vorschein kommen lässt.“ Herausgekommen ist ein beeindruckendes Portrait dieses Ausnahmemusikers.

Erst im letzten Jahr ist der Film „Tastenarbeiter – Alexander von Schlippenbach“ von Tilmann Urbach entstanden. Ende der 1950er Jahre begann die Karriere dieses bedeutenden europäischen Free-Jazz-Musikers im Manfred Schoof Quintett, dann folgte die Mitwirkung im „Globe Unity Orchestra“ und endet schließlich mit einem Besuch des Pianisten bei dem Schlagzeuger Günter „Baby“ Sommer in Dresden. Das Zusammenspiel dieser beiden großartigen Musiker gehört zu den schönsten und fruchtbarsten Momenten in diesem Film.“ 
Ernst Steinhoff, Karl-Heinz Schmid, Kuratoren

Alle Filme werden mit einer Einführung durch Jazz-Fachleute vorgestellt.

Jazzfieber - The Story of German Jazz

D 2023, Buch, Regie: Reinhard Kungel, 92 Min.

Jazz Revival: Junge Menschen begeistern sich wieder für swingende Rhythmen und jazzige Grooves. Dabei ist über die Hintergründe dieser Musik wenig bekannt. Wie kam der Jazz nach Deutschland und weshalb sahen die Nazis in der Begeisterung für Jazz eine Gefahr? Reinhard Kungel und Andreas Heinrich machen sich auf die Suche nach Antworten. Sie begleiten junge Jazzmusiker*innen bei Touren, Proben und Konzerten, wo sie über die eigenen Vorbilder diskutieren und sich intensiv mit den Wurzeln des Jazz‘ beschäftigen.

Die Bilder ähneln sich, sprechen aber dennoch eine andere Sprache: im Tour-Bus der 1950er Jahre wurde frech für die Kamera Musik gemacht, in den 2020er Jahren spielen die Jazzmusiker eher mit ihrem Handy. Dennoch, so die Quintessenz von Reinhard Kungels JAZZFIEBER: Der Jazz ist nach wie vor am Leben. Kungel folgt den Spuren des Jazz von seinen Anfängen in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, bis in die Gegenwart, lässt Jazz-Urgesteine und junge Musiker zu Wort kommen und präsentiert eine ganze Bandbreite an Stilen und Variationen…. Lediglich die im Jazz beheimateten Musikerinnen aus Ost und West kommen in der Dokumentation arg kurz, das ist schade. Dennoch bietet JAZZFIEBER alles-in-allem einen handwerklich exzellent gemachten und über die Maßen unterhaltsamen Einblick in die Geschichte des Jazz in Deutschland. (FBW-Prädikat: besonders wertvoll)

Inside Scofield

D 2022, Regie: Jörg Steineck, 86 Min., engl. OmU

Mit seinem einzigartigen Stil und Sound wurde John Scofield zu einem der einflussreichsten Meistergitarristen und Komponisten der modernen Jazz- und Fusion-Musik. Im Laufe seiner langen und erfolgreichen Karriere kreuzte er die Wege von Legenden wie Miles Davis, Charles Mingus, Gerry Mulligan, Herbie Hancock, Joe Henderson und Chet Baker. Scofields Œuvre umfasst Jazz, Funk, Rock und Blues, er gilt international als einer der Größten in seinem Fachgebiet. Jörg Steinecks Dokumentarfilm widmet sich neben den musikalischen Meilensteinen, die Scofields Karriere prägen, vor allem dem Hier und Jetzt. Und der Frage danach, was es wirklich braucht, um ein Meistermusiker zu werden. Der Film begleitet den selbsternannten „Road Dog” hinter die Kulissen seines Alltags auf Tour und gewährt auch privatere Einblicke in das Leben des mittlerweile über 70-jährigen Gitarristen in Katonah, New York. Im englischen Original von John Scofield selbst eingesprochen.

Interview mit Jörg Steineck auf jazz-fun.de

Der Film ist eine liebevoll gemachte Liebeserklärung an den Jazz und das Leben selbst. Steineck verknüpft über mehrere Erzählebenen gefilmte Szenen mit Archivmaterial aus Scofields beeindruckender Laufbahn und aufwendigen Animationen und fügt alles gekonnt zu einem Gesamtbild zusammen, bei dem man den Eindruck erhält, alles aus der Perspektive von Scofield selbst zu erleben und zu fühlen. So wird man Zeuge zu seiner ganz persönlichen Auseinandersetzung mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. (Jazztage Dortmund)  

Inside Scofield ist keine rein-biografische Abhandlung, keine aufdringlich heroisierende “Talking-head” Lebenslauf-Bebilderung. Es ist eine Liebeserklärung an den Jazz, überbracht vom Hauptprotagonisten selbst. Der Film erweckt den Eindruck, die Handlung direkt durch Scofields Augen mitzuerleben und Zeuge seiner persönlichen Auseinandersetzung mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu werden. (Babylon Berlin Premiere 2022)

Bereits gelaufene Filme dieser Reihe:

Der Illusionist

NL 1984, Regie: Jos Stelling, Musik: Willem Breuker, mit Freek de Jonge, 90 Min., OF

Der ganz ohne Dialoge inszenierte Film entführt uns in eine von skurrilen Personen und Requisiten bevölkerte Traumwelt des Illusionisten. In einem der Tagträume ist er ein gefeierter Alleinunterhalter vor einem imaginären Publikum. Außerhalb seiner Träume lebt er mit seiner mürrischen Mutter und seinem Bruder in einer Windmühle. Als sein schöner Tagtraum in einen Alptraum mutiert, wird der Illusionist in die Psychiatrie gebracht. Hier tragen alle Patienten eine verdächtig lange Operationsnarbe am Schädel. Das „Willem Breuker Kollektief“ steuert kongenial eine zirkushafte Musik bei.

Der Illusionist (1983), ein filmisches Meisterwerk und eines der seltsamsten dazu, basiert auf dem Kabarettstück Die Tragik aus der Feder de Jonges. Es geht um Sein und Schein, Illusion und Wirklichkeit. Doch diese komplizierten Fragen beantwortet Stellings Film auf eine recht kurzweilige Art, nämlich gar nicht. Das vergnügliche Verwirrspiel besteht aus einer Kette aberwitziger Situationen. Am Ende droht nicht das transzendente Fragezeichen, sondern entspannte Heiterkeit. Der ganz ohne Dialoge auskommende Film lebt von seinen urkomischen Bildern und der skurrilen Erscheinung Freek de Jonges, der uns durch Brillengläser anschaut, die dick sind wie Glasbausteine. (Manfred Riepe, 23.1. 1992, www.taz.de)

Tastenarbeiter – Alexander von Schlippenbach

D 2023, Regie: Tilman Urbach, 106 Min.

Er ist einer der Urväter des europäischen Free Jazz: Seit Jahrzehnten geht Alexander von Schlippenbach seinen eigenen Weg, spielt Klavier, komponiert, leitet Bands. Der 1938 in Berlin geborene Nachkomme alten Adels fand durch den amerikanischen Jazz in der Nachkriegszeit seine Liebe zur Musik - und zur Rebellion. Tilman Urbach zeichnet nun ein sehr persönliches Porträt, zeigt biografische Brüche, aber auch Aufbrüche wie ins Musikerkollektiv der heute legendären „Free Music Production“ (FMP), für die der Free Jazz Entgrenzung bedeutete –vom musikalischen wie auch vom politischen Establishment.

Alexander von Schlippenbach spielt seit den 1960er Jahren eine sehr wichtige Rolle im europäischen Jazz. Er beschreibt sich selbst – mit unsichtbarem Augenzwinkern – wie folgt: "'N bisschen so 'n Spinner, vielleicht auch. Ich will jetzt nicht sagen, was ich für 'n toller Kerl bin. Spinner heißt, etwas abwegige Gedanken und in meinen Reaktionen nicht immer so ganz comme il faut.“ (www.br-klassik.de)

In der Dokumentation folgt man neben Alexander von Schlippenbach aber auch seiner Frau, der Jazzpianistin Aki Takase, mit der er nicht nur seit vielen Jahren verheiratet ist, sondern mit der er auch eine außergewöhnliche Arbeitspartnerschaft bildet…
Tastenarbeiter ist eine Dokumentation, die einer der wichtigsten Figuren des europäischen Free Jazz Respekt erweist und zum einen faszinierende Einblicke in das Leben und Arbeiten von Schlippenbachs gewährt. Sie fängt zum anderen aber auch, ganz im Stile der mitportraitierten Musik, sympathische und spontane Momente zwischen dem Protagonisten und Kollegen ein, die sich zu einer Jam zusammenfinden oder alte Fotografien durchgehen und überlegen, welche es nun wert sind, in die Dokumentation einzufließen. Von Schlippenbach selbst ist dabei eine faszinierende und hochinteressante Person, die es schafft, ob Jazzenthusiast oder nicht, über die gesamte Laufzeit zu fesseln. (Johannes Witt, www.kino-zeit.de)

As Time Goes by in Shanghai

D 2013, Regie: Uli Gaulke, 93 Min., OmU

Sie haben eine bewegte Geschichte hinter sich, die sechs chinesischen Jazzmusiker im Alter zwischen 70 und 90 Jahren. Die „Peace Old Jazz Band“ spielt seit 30 Jahren jeden Abend im legendären „Peace Hotel“ in Shanghai. Sie sind nicht die beste Band der Welt, aber die älteste. Auf der Bühne laufen sie zur Hochform auf, mit lautem Schmettern und vibrierenden Melodien trotzen sie der geschichtsvergessenen Gegenwart in Shanghai. Ihrer Liebe zum Jazz sind sie über Jahrzehnte treu geblieben. Und die Gegenwart ist nicht weniger aufregend. Regisseur Uli Gaulke begibt sich mit den alten Herren auf ihr größtes Abenteuer: die Reise nach Europa zum Jazz-Festival in Rotterdam.