Der 14. Bremer Filmpreis der Kunst- und Kultur-Stiftung der Sparkasse Bremen für besondere Verdienste um den europäischen Film geht an die französische Kamerafrau Caroline Champetier.

»Die Schauspieler sind die Objekte des Regisseurs. Ich erleuchte sie, aber diese privilegierte Beziehung ist immer unausgesprochen. Ich bin das Auge, der Blindenhund, das ist alles.«

Caroline Champetier (1954 *Paris) arbeitete nach ihrem Studium an der Französischen Filmhochschule (IDHEC) 1976 im Team von William Lubtchansky an der Seite von Regisseuren wie Jacques Rivette, Claude Lanzmann, François Truffaut, Jean-Marie Straub und Danièle Huillet. 1981 drehte sie mit Chantal Akerman ihren ersten Spielfilm Tout une nuit und blieb als Kamerafrau lange an Akermans Seite. Jean-Luc Godard holte sie für Soigne ta droite (1985) mit in sein Team: »I’m looking for someone who knows a bit but not too much«, soll er gesagt haben. Sie war 30 Jahre alt, als sie das erste Mal mit Godard zusammenarbeitete, und hat daraufhin sechs weitere Filme mit ihm gedreht: Série noire: Grandeur et décadence d'un petit commerce de cinéma (1986), Puissance de la Parole (1986), King Lear (1987), Histoire(s) du cinéma (1988), Hélas pour moi (1992) und Les enfants jouent à la Russie (1993). Sie hat seitdem mit vielen der bedeutendsten französischen Regisseuren gedreht: mit Jacques Dellon unter anderem den Film Ponette (1996), mit Philippe Garrel J'entends plus la guitare (1990) und Le vent de la nuit (1998), mit Benoît Jacquot hat sie acht Filme, darunter La fille seule (1995) und Villa Amalia (2008) gedreht, auch mit André Techiné, Jacques Rivette und Barbet Schroeder hat sie zusammengearbeitet.
Im Jahr 2001 filmte sie Sobibór, 14 octobre 1943, 16 heures mit Claude Lanzmann. Sie arbeitete auch mit der neuen Generation französischer Regisseure zusammen, darunter Arnaud Desplechin La sentinelle (1992), Laetitia Masson En avoir (ou pas) (1995) und vor allem Xavier Beauvois. Mit ihm drehte sie N'oublie pas que tu vas mourir (1995), Le petit lieutenant (2005), Des Hommes et des Dieux (2010). Für Des Hommes et des Dieux erhielt sie den Französischen Filmpreis César für die beste Kameraführung.

Auf internationaler Ebene hat Caroline Champetier auch mit unterschiedlichen Filmemachern zusammengearbeitet. Mit Nobushuro Suwa (Japan) drehte sie H-Story (2000) und Un couple parfait (2005). Für Naomi Kawase (Japan) stand sie bei Nanayomachi (2008) hinter der Kamera. Sie filmte Promised Land (2004) und Plus tarde (2008) mit Amos Gitai (Israel) und mit dem palästinensischen Regisseur Tawfik Abu Wael drehte sie 2009 Tanathor. In Großbritannien arbeitete sie mit Tim Robbins und Adam Simon (1994 The typewriter, the rifle and the movie camera) und in den Vereinigten Staaten unter anderem mit Mark Gibson (1999 Lush) zusammen.
Zuletzt drehte sie mit Margarethe Von Trotta (Deutschland) die Dokumentation Hannah Arendt (2011). Sie lehrt an der FEMIS (Französische Filmhochschule), hatte ein Jahr lang eine Kolumne für die Zeitschrift »Cahier du Cinéma« (für die auch schon Godard und Truffaut geschrieben haben) geliefert und hat von 2008-2010 auch diverse Radiosendungen moderiert. Sie wurde Anfang des Jahres zum dritten Mal in Folge als zur Präsidentin des AFC (Association of French Cinematographers) gewählt.

Aktuelle Informationen finden sich bei Wikipedia und IMDb.

 

Begründung der Jury

Ein Kind sitzt im Auto, ein Mädchen. Es mag fünf Jahre alt sein, trotzdem hat es auf dem Beifahrersitz Platz genommen. Die Kamera ist dicht an ihm dran, wie ein Mensch, der auf der Rückbank sitzt und sich vorbeugt, um mit dem Beifahrer zu sprechen. Es ist ein keine aufdringliche Perspektive, eher eine intime, familiäre. Das Kind und der Vater befinden sich in einer schwierigen Situation: Die Mutter ist tödlich verunglückt, der Vater ist kurz davor, dies dem Kind zu sagen, und die Anspannung wird in den Bildern spürbar. Die Rede ist von einer der ersten Sequenzen aus Jacques Doillons Spielfilm »Ponette« (1996), und die Aufnahmen, die die Kunst beherrschen, mühelos Intimität herstellen, ohne dem Kind zu nahe zu treten, hat Caroline Champetier gemacht, eine 1954 geborene französische Kamerafrau. Ihre besondere Sensibilität, ihr großartiges Verständnis von Bildkomposition, Licht und Kontrast zeichnen sie aus; zudem hat Caroline Champetier mit zahlreichen namhaften Regisseuren zusammengearbeitet, mit Jacques Doillon und Jacques Rivette, mit Jean-Luc Godard und Philippe Garrel, mit Straub/Huillet und Claude Lanzmann, mit Xavier Beauvois und Benoit Jacquot. Sie hat die elaborierte Lichtsetzung und die dazugehörige Farbpalette in Beauvois’ »Von Menschen und Göttern« (2010) geschaffen, sie hat die harten Schwarz-Weiß-Kontraste in »Klassenverhältnisse« (1984), einer Kafka-Adaption von Straub/ Huillet, erforscht, sie bewegt sich im Spielfilm genauso behände wie im Dokumentarfilm, wovon etwa Barbet Schroeders »L’avocat de la terreur« (2007) oder Claude Lanzmanns »Sobibor, 14. Oktober 1943, 16 Uhr« (2001) zeugen. Ohne Caroline Champetier wäre das europäische Kino deutlich ärmer, als es ist.
 

Die Jury 

Cristina Nord, Filmredakteurin und Dozentin
Pepe Danquart, Filmemacher
Dr. Rainer Rother, Filmwissenschaftler und Direktor des Museums für Film und Fernsehen Berlin.