Piaffe

D 2022, Regie: Ann Oren, mit Simone Bucio, Sebastian Rudolph, Bjørn Melhus, 86 Min.

Zara hatte einen Nervenzusammenbruch, weshalb ihre eher introvertierte Schwester Eva ihren Job als Geräuschemacherin übernehmen muss. Für ein neues Medikament namens „Equili“ soll Eva die Geräusche für einen Werbespot für ein Antidepressivum vertonen. In dem wird fast die ganze Zeit ein Pferd gezeigt, wie es auf der Stelle trabt. Eva beginnt, das Verhalten eines Pferdes zu vertonen und vertieft sich immer leidenschaftlicher in diese Arbeit. So sehr, dass ihr währenddessen ein Pferdeschweif über dem Steißbein aus dem Körper wächst. Gleichzeitig wachsen auch ihr Selbstbewusstsein und ihr sexuelles Verlangen. So beginnt sie eine SM – Affäre mit einem Botaniker, der Farne erforscht. Eva erlebt ihren Körper auf noch nie empfundene Weise.

Über die Regisseurin:
ANN OREN (Buch & Regie) ist Künstlerin und Filmemacherin. Sie wurde 1979 in Tel Aviv geboren und studierte Film und Bildende Kunst an der The School of Visual Arts in New York. Seit ihrem Abschluss 2007 konzentriert sie sich auf das Erschaffen von bewegten Bildern im Rahmen der Kunstwelt. Sie erschafft Videos, zugeschnitten auf bestimmte Apparaturen, oder Mehrkanal-Video-Installationen, in denen Figuren auftreten, die im Übergangsraum zwischen Performance und Publikum existieren. Ihre Arbeit wurde u.a. auf der Moskau-Biennale für junge Kunst gezeigt, dem Hammer Museum, dem Museum Tel Aviv, dem Anthology Film Archive, Apexart und im Kindl – Zentrum für zeitgenössische Kunst. Ann Oren lebt und arbeitet in Berlin, führt weiterhin ihre Video-Journale als eine Art audiovisuelles Workout und entwickelt gerade ihren nächsten Spielfilm. (Quelle: Verleih Salzgeber.de)

Beschrieben wird das Werk oftmals als surreal, doch greift diese Idee nur, wenn man tief verankert in den Normen des Kinos, des Blickens und Erzählens bleibt, anstatt sich mitziehen zu lassen in eine diverse, symbiotische Welt, in der zur Abwechslung nicht das Wort, sondern vor allem die Geräusche, Farben und Bilder die Geschichten erzählen, ohne sich an die üblichen Regeln zu halten. Auch der Film selbst befreit sich und respondiert mit seinen Figuren und der Erzählung wie das Mehr-Arten-Wesen einer kinematografischen Welt. Orens Werk ist auch ein ständiges Werden und Reagieren jenseits des Üblichen. Das große Ganze ist völlig egal, die kleinsten Details sind viel wichtiger. Das Geräusch eines Pferdehufs, das Klappern einer Kette. Das Rot der Rosen, die Eva in sich aufnimmt. Das Blau ihres Kleides, das Schimmern der Stahlkappen, die sie auf ihre Schuhe nagelt, um ihrem Pferdwerden ein Geräusch zu geben. (Beatrice Behn, www.sissymag.de)

Blicke und Begehrensverhältnisse geben sich in Ann Orens Film von den ersten Bildern an als „anders“ zu erkennen. Pflanze, Maschine und Mensch – zunächst noch: die Frau, der Mann –, werden mit dem gleichen Interesse, der gleichen Faszination betrachtet. Zärtlich und taktil sind die Blicke, ganz so, als wollten sie ihr Gegenüber nicht nur berühren, sondern sich davon affizieren und verändern lassen. (Esther Buss, www.filmdienst.de)

Die Geschichte um eine Frau, die neue Seiten an sich entdeckt, lädt geradezu dazu ein, nach Lust und Laune zu interpretieren und zu rätseln, ohne dass es eine Garantie gibt, aus diesem surrealen Bilderreigen wirklich einen Sinn für sich herauszukristallisieren.
Aber selbst wenn am Ende Fragen offen bleiben – oder man nicht einmal bis zu den Fragen gekommen ist –, lohnt sich ein Besuch bei diesem sonderbaren Spielfilmdebüt. (Oliver Armknecht, www.film-rezensionen.de)

Omen

Augure – B/NL/CON/D/SA/F 2023 - Buch, Regie: Baloji, mit Marc Zinga, Yves-Marina Gnahoua, 92 Min., engl./frz./ngála/suaheli OmU

Koffi trägt ein Geburtsmal und gilt deshalb als besessen. Das glaubt auch seine Familie, die ihn deshalb Zabolo, Zeichen des Teufels, nennt. Jahrelang wurde er dafür im Kongo von allen geächtet und verließ deshalb das Land. Nach vielen Jahren in Europa kehrt Koffi erstmals an seinen Geburtsort im Kongo zurück. Er will sich den Segen für seine Heirat mit Alice einholen, mit der er in Belgien lebt. Die Tradition verlangt einen Besuch bei der Familie, verbunden mit einer großen Geldzahlung. Doch die alten Feindseligkeiten sind immer noch spürbar, einzig seine Schwester Tshala steht dem kollektiven Aberglauben kritisch gegenüber. Koffi will die Gründe für seine Ächtung verstehen und stößt dabei auf ein Familiengeheimnis. Und dann ist da noch Paco, ein Junge aus einer Straßengang, dessen Schicksal mit Koffis Leben verbunden zu sein scheint.

Über den Regisseur: 
Baloji ist 1978 in Zaire (heute Demokratische Republik Kongo) geboren und wuchs an der belgischen Nordseeküste auf. Er begann in den frühen 90ern zu rappen und hatte seinen Durchbruch als Teil der Gruppe Starflam. Er hat seitdem vier Soloalben veröffentlicht und unzählige Musikvideos gedreht. Sein Kurzfilm ZOMBIES gewann fünf Festivalpreise, unter anderem den Award of Merit bei den Global Shorts 2019 in Los Angeles und den Preis für den besten experimentellen Kurzfilm des Guanajato International Film Festival 2020. AUGURE ist sein Langfilmdebüt. (Quelle: www.filmfest-muenchen.de)

Festivals und Preise:
u.a. Cannes Film Festival 2023: Prix de la Nouvelle Voix; Filmfest München 2023: CineRebels Award; Durban International Film Festival 2023: bester afrikanischer Spielfilm; African Movie Academy Awards 2023: bester Debütfilm; Offizieller Auslands-Oscar-Kandidat Belgiens 2024

Koffi ist nicht der alleinige Protagonist. Seine Geschichte ist nur eine unter vielen, so soll eine Art Gesellschaftsquerschnitt entstehen. Der Film ist in vier Kapitel und einen Epilog gegliedert, und begleitet über ein Osterwochenende hinweg verschiedene Figuren aus seinem erweiterten Umfeld. Etwa seine jüngere Schwester Tshala. Eine moderne Frau, die im traditionsbewussten Kongo nie ganz glücklich geworden ist und sich mit den Nachwirkungen einer offenen Beziehung herumschlagen muss. (Lucas Barwenczik, www.kino-zeit.de)

For the Time Being

D 2023, Buch, Regie: Nele Dehnenkamp, 90 Min., engl. OmU

Michelle heiratet 2007 ihren Jugendfreund Jermaine im Sing Sing Hochsicherheitsgefängnis in der Nähe von New York - in der Hoffnung, dass er bald entlassen wird. Seitdem Jermaine 1998 wegen Mordes verurteilt wurde, versucht Michelle seine Unschuld zu beweisen. Mittlerweile ist sie alleinerziehende Mutter von zwei Teenagern, arbeitet als Malerin und engagiert sich, um die Öffentlichkeit über Fehlurteile der US-Justiz aufzuklären. Seit Jahren ist es für Michelle ein Alltag im Ausnahmezustand, bestehend aus kurzen Telefonaten mit ihrem Mann im Gefängnis, Terminen beim Anwalt und Auftritten bei Solidaritätsveranstaltungen. Nun sind Dokumente aufgetaucht, die die Zweifel an der prozessentscheidenden damals Zeugenaussage verstärken. Michelles Hoffnung auf eine baldige Freilassung lebt wieder auf. 
Nele Dehnenkamp lernte die Afroamerikanerin Michelle über eine Nichtregierungsorganisation kennen und hat sie über einen Zeitraum von neun Jahren bei ihrem Kampf begleitet.

Über die Regisseurin Nele Dehnenkamp:
„For the time being” ist Nele Dehnenkamps Abschlussfilm in Rahmen ihres Regie-Studiums an der Filmakademie Baden-Württemberg. Von 2014 bis 2016 hat sie in New York gelebt und sich dabei als Soziologin mit dem Justizsystem der USA beschäftigt, insbesondere mit den Lebenswelten von Frauen, die inhaftierte Partner haben. In diesem Kontext hat sie auch Michelle, die Protagonistin ihres Filmes, kennengelernt. Über neun Jahre hat Dehnenkamp Michelle, die auch an der Gestaltung der Erzählung mitwirkte, begleitet und den Film unabhängig produziert. Bereits ihr dokumentarischer Kurzfilm „Seepferdchen” hat im Jahr 2022 den Grimme-Preis im Wettbewerb Kinder & Jugend bekommen. (Quelle: Presseheft)

Man glaubt sich in einem Thriller, dessen Drehbuch das Leben und das US-amerikanische Justizsystem schrieben. (Anke Leweke, dok-leipzig.de)

„For the Time Being“ knüpft an die hochaktuelle Rassismusdebatte an und beleuchtet als erster Dokumentarfilm, die langfristigen Auswirkungen des Gefängnissystems auf die Lebensrealität afroamerikanischer Frauen (und ihrer Kinder) – konsequent aus ihrer Perspektive.
In der Vergangenheit haben bereits zahlreiche Dokumentarfilme mit großem Publikumserfolg das drakonische und diskriminierende Justizsystem thematisiert … Keiner dieser Filme erforscht jedoch die indirekten, schwer sichtbaren Langzeitfolgen der US-amerikanischen Masseninhaftierung für afroamerikanische Frauen und deren Kindern– über den Haftzeitraum hinweg.
For the Time Being füllt diese Lücke, indem anhand von Michelles Biographie das rassistische Justizvollzugssystem der USA und dessen Nachhall im Leben von Frauen konkret und filmisch erlebbar wird. (www.jugendnetz.de)