Die Präsenz des lateinamerikanischen Kinos ist eine Konstante im Programm des Filmfestivals für Afrikanisches Kino von Tarifa-Tangier (FCAT), mit dem das Instituto Cervantes erneut zusammenarbeitet, um die dritte Wurzel Lateinamerikas zu präsentieren, die des geografischen und kulturellen Erbes der afrikanischen Rasse. Die in Bremen gezeigte Reihe „Transatlántidas. Die dritte Wurzel", zeigt eine Auswahl von vier neueren, in Lateinamerika produzierten Filmen, die mit den Realitäten der afroamerikanischen Gemeinschaften in dieser Region verbunden sind. „Transatlántidas“ bzw. „Transatlantis“ der Titel dieser Reihe, entsteht aus einem Wortspiel zwischen dem Adjektiv transatlantisch und dem mythischen Ort Atlantis. Die Schnittstelle zwischen beiden Begriffen ruft das Bild der Insel als realen physischen Raum hervor. In der Reihe von Geschichten, die in der Dominikanischen Republik oder auf Kuba angesiedelt sind, gibt es aber eine weitere metaphorische Insel. Dies Transatlantis symbolisiert die Realität von Afro-Nachkommen in Lateinamerika, die wie isoliert auf ihrer eigenen Insel leben, was ihre Situation in der Gesellschaft widerspiegelt. 

„Transatlántidas. Die dritte Wurzel" versammelt vier transatlantische Geschichten, die die Insel als Schauplatz der Handlung heraufbeschwören: die Dominikanische Republik in „Mal de caña“ und „Vals de Santo Domingo“ und Kuba für „La arrancada“ sowie andere tropisch angehauchte Küstenorte wie Rio de Janeiro in „Breve miragem de sol“. Aber diese Geschichten suggerieren auch das Konzept der Insel als persönliche Realität der afroamerikanischen Protagonisten dieser vier Filme, die durch ihre Lebensumstände isoliert und manchmal sogar ausgegrenzt sind.

Diese Auswahl soll die Realitäten der Afro-Amerikaner in Lateinamerika beleuchten, die keineswegs ein Mythos sind, sondern von der unsichtbarsten Minderheit des Kontinents erlebt werden, der Minderheit der „dritten Wurzel", der afrikanischen Wurzel, die Mexiko in seinem Mestizaje-Diskurs in den 1920er Jahren völlig außer Acht ließ.

Jennifer und ihre Mutter, die Protagonisten von La arrancada - On the Starting Line (Aldemar Matias), werden als zwei Inseln gezeigt, die durch die Kluft zwischen zwei Generationen getrennt sind, zwischen dem Kuba der Vergangenheit, das sich an sein etwas wackeliges utopisches Ideal klammert, und dem der Gegenwart, das sich von dieser kulturellen Zugehörigkeit losreißt, um eine Zukunft außerhalb zu suchen. In Kuba gelten die Sportler als Helden der Revolution, und ihr Engagement für den Sport ist ein Engagement für die Nation. So sieht es auch Jennifers Mutter, die ihre Tochter ermutigt, trotz ihrer Verletzung weiter zu trainieren. Jennifer ist jedoch hin- und hergerissen zwischen der Liebe zu ihrer Mutter, einer Beamtin und treuen Dienerin des Landes, der Liebe zu ihrem Heimatland und dem Bedürfnis, andere Möglichkeiten zu suchen. 

Der Film Breve miragem de sol von Erik Rocha beschreibt die Einsamkeit von Paulo, einem schweigsamen Taxifahrer, der nachts durch die endlosen Straßen der Megametropole Rio de Janeiro fährt, einer Stadt der Kontraste, des Luxus und der Favela, in der die Klassenunterschiede immer größer werden, manchmal auch rassistisch motiviert. Paulo ist isoliert in seiner eigenen Familie, besessen davon, seinen Sohn wiederzufinden und einen neuen Platz in der Welt zu finden.

Genau diesen Ort der Zugehörigkeit haben die Protagonisten von Vals de Santo Domingo gefunden. Ángel, Víctor und Raymundo sind die einzigen drei Jungen aus ärmlichen Verhältnissen in einer Ballettklasse an der Escuela Nacional de Danza de Santo Domingo. Aber sie müssen sich mit den Stereotypen einer Macho-Gesellschaft und -Kultur auseinandersetzen, die den Tanz als eine ausschließlich weibliche Aktivität betrachtet, und sich der sozialen und familiären Unterdrückung stellen, aber auch den Opfern, die sie erbringen müssen, um ihre Träume zu verwirklichen und sich als Künstler in der Welt des Tanzes zu entwickeln.

Mal de caña erzählt die Geschichte der Ausgrenzung haitianischer Arbeiter in der Dominikanischen Republik, die in den Zuckerrohrfeldern gefangen sind, wo ihnen ihre Bürgerrechte und alle Arten von Grundversorgungsleistungen verweigert werden. Um dieser Insel des Elends zu entkommen, versuchen einige, ohne viel Hoffnung, außerhalb der Plantage zu arbeiten, andere werden aus dem Haus vertrieben, in dem sie ihr ganzes Leben verbracht haben, und der Rest versucht, Widerstand zu leisten. (Quelle: Instituto Cervantes)

Hier geht es zur spanischsprachigen Seite des Instituto Cervantes BremenTransatlántidas. La tercera raíz africana

Breve miragem de sol

Burning Night - BRA 2029, Regie: Eryk Rocha, mit Fabricio Boliveira, Bárbara Colen, 98 Min., port. OmengU

Rio de Janeiro: Paulo, frisch geschieden, wird Taxifahrer, um für seinen zehnjährigen Sohn zu sorgen zu können. Doch das Geld reicht trotzdem nicht. Die Erzählungen seiner Fahrgäste verflechten sich zu einem Mosaik von Stimmen, während er nachts durch Rio de Janeiro fährt – eine chaotische Megastadt, die sich ständig neu erfindet. Von Regisseur Eryk Rocha, Sohn von Glauber Rocha, einer Schlüsselfigur des Cinema Novo.

Über den Regisseur:
Dem Regisseur Eryk Rocha ist es gelungen, eine solide und nachhaltige Filmkarriere hinzulegen. Sein Werk, das auf einem enormen Engagement für die soziale Gerechtigkeit und einem Plädoyer für den Widerstand der Unterprivilegierten beruht, hat ihn als eigenständigen Regisseur etabliert, ohne dass er durch den Namen seines Vaters, Glauber Rocha, einer der Schlüsselfiguren des Cinema Novo, überschattet wird. Obwohl seine Karriere als Filmemacher in dokumentarischen Erzählungen verwurzelt ist, drehte er 2010 „Transeunte“, auf den als Spielfilm nur „Breve miragem de sol“ folgte. In seinen Filmen geht es immer um unsichtbare Figuren oder Opfer der sozialen Unruhen in den Großstädten.
(Quelle: Instituto Cervantes Bremen)

Vergangene Filme dieser Reihe:

Vals de Santo Domingo

Santo Domingo Walzer – DR 2021, Drehbuch, Kamera, Regie: Tatiana Fernández Geara, mit Laura Abreu, Sofía Isabel Almonte, 76 Min., OmengU

Die Jugend ist ein Lebensabschnitt, der bei denjenigen, die ihn betrachten, Empfindungen von Schönheit und Verletzlichkeit auslöst. Dies ist der Fall in diesem Dokumentarfilm von Tatiana Fernández Geara, in dem das Leben dreier jugendlicher Tänzer zu unzähligen Assoziationen anregt, wie es nur gutes Kino vermag. Die Regisseurin nähert sich ihrem Ziel mit einer ernsthaften und entschlossenen dokumentarischen Arbeit und schafft es, im Dialog mit den Protagonisten, eine enorme Eloquenz und Zartheit zu vermitteln. (Quelle: Instituto Cervantes)

On the Starting Line

La arrancada - F/CUB/BRA 2019, Buch, Regie, Kamera: Aldemar Matias, 63 Min., span. OmengU

Kuba, ein Land im Wandel. Jenniffer ist Anfang 20 und lebt mit ihrer Mutter Marbelis und ihrem Bruder Yeyo zusammen; der Vater sitzt im Gefängnis. Marbelis arbeitet im staatlichen Desinfektionswesen und reibt sich für ihre Kinder auf. Die Karriere ihrer Tochter als Leichtathletin unterstützt sie nicht nur finanziell. Zur Zeit ist Jenniffer allerdings verletzt und hadert mit dem Sport, sie denkt ans Aufhören.
Unaufgeregt, fast beiläufig fängt die Kamera Jenniffers Leben ein: die liebevolle Beziehung zu ihrer besorgten Mutter, die Nähe zu ihrem Bruder, der seine Ausreise plant, ihre Gespräche mit Freunden über die komplizierte Liebe zu Kuba und darüber, wo man sich in zehn Jahren sieht, und immer wieder das Training auf dem Sportplatz. Szenen wie die der Opferungen an die Göttin Oshun und die der von Handys beleuchteten Gesichter abends auf dem „Wifi-Platz“ lassen den Gegensatz zwischen Tradition und Moderne erkennen, ohne ihn direkt zu thematisieren. Auch Jenniffers Wandel und die Unsicherheit darüber, wie ihre Zukunft aussieht, treten nur subtil zutage. Nicht nur beim 100-Meter-Lauf scheint sie in den Startblöcken zu stehen. Ein stilles, feinsinniges und sensibel gefilmtes Porträt einer Familie. (Text: www.berlinale.de)

Filmtext auf Spanisch / texto cinematográfico en español


Aldemar Matias 
Geboren 1985 in Brasilien, lebt heute in Barcelona. Sein Studium an der Escuela Internacional de Cine y TV (EICTV) auf Kuba schloss er 2014 ab. Der Kurzdokumentarfilm El Enemigo wurde bei Visions du Réel, DOK Leipzig und True/False gezeigt und beim Festival Internacional de Cine de San Sebastián ausgezeichnet. La Arrancada ist sein erster Langfilm.

Filmografie
2011 Parente; Kurzfilm
2013 Años de Luz; Kurzfilm
2014 When I Get Home; Kurzfilm
2015 El Enemigo; Kurzfilm
(Stand Bio-Filmografie: Berlinale 2019)