Psychiatrie anders denken – Eine kritische Auseinandersetzung mit Gesellschaft in Film

Eine Filmreihe in Kooperation mit der kivi – kritische Initiative für Vielfalt und Inklusion der Universität Bremen und dem Landesbehindertenbeauftragten der Freien Hansetstadt Bremen.

Eintritt frei! Nur mit Voranmeldung unter:

Online: Anmeldeformular des LBB
E-Mail: office@lbb.bremen.de
Tel: 0421-361 18 181 // Fax: 0421-496 18 181

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Wir sind zwei Verrückte. Zwei Verrückte, oder? –
Wenn mans genau nimmt, ja. (Die Überglücklichen)

Das Thema Psychiatrie verschwindet im alltäglichen Leben und im öffentlichen Raum oft in der Peripherie. Es gibt kaum Möglichkeiten sich über individuelle Herausforderungen auszutauschen oder die Verhältnisse, in denen sie zum Tragen kommen und unser Leben beeinflussen, kritisch zu reflektieren. Was weißt du bspw. über Psychiatrie und psychische Krisen/Krankheiten? Welche Vorstellung hast du davon oder welche Erfahrungen selbst gemacht? Wie sind psychiatrische Strukturen noch immer von der Vergangenheit geprägt und welche Alternativen gibt es bereits, die hier in Bremen überlegt wurden und auch schon umgesetzt sind?

In Kooperation mit dem Büro des Landesbehindertenbeauftragten, kivi (kritische Initiative für Vielfalt und Inklusion) und dem CITY 46 möchten wir mit unserer Filmreihe etwas entgegensetzen: In Anlehnung an vier Filme, die sich auf ihre eigene Art mit den Themen Psychiatrie und psychischer Krankheit beschäftigen. Wichtig ist uns dabei vor allem auch auf die wahrgenommene, anhaltende Stigmatisierung von psychischen Krankheiten aufmerksam zu machen – und an ihnen zu rütteln.

In den vier Filmen "Vier Könige", "Einer flog über das Kuckucksnest", "SPK Komplex" und "Die Überglücklichen" werden Psychiatrie und psychische Krankheiten aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet. Jeder Film wird entweder durch eine kleine Einführung in das Thema oder eine abschließende Diskussion mit Expert*innen, die ihre eigene Perspektive mit uns teilen, gerahmt. Ihr seid herzlich eingeladen diese Fragen mit uns zu diskutieren und Psychiatrie gemeinsam neu zu denken. Wir freuen uns auf euch!

SPK Komplex

D 2018, Regie: Gerd Kroske, 111 Min.

Anfang 1970, vor 50 Jahren, gründete der Arzt Wolfgang Huber in Heidelberg mit Patienten das „Sozialistische Patientenkollektiv“. Die antipsychiatrisch ausgerichtete Gruppe kritisierte die Behandlung von psychisch Kranken als „Verwahr-Psychiatrie“ – und verknüpfte neue Therapiemethoden mit politischen Forderungen. Bald radikalisierte sich das SPK, Gerüchte über Verbindungen zur RAF wurden laut. Hubers Experiment führte zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Universität Heidelberg und der baden-württembergischen Landesregierung. Im Zuspitzen des Konflikts radikalisierte sich das SPK. Wolfgang Huber, seine Frau und weitere Mitstreiter wurden schließlich verhaftet und vor Gericht gestellt. Die SPK-Prozesse nahmen in der Härte, mit der sie von beiden Seiten geführt wurden – von Versuchen, Rechtsanwälte auszuschließen, bis zur Totalverweigerung der Angeklagten – die späteren Stammheim-Prozesse gegen RAF-Mitglieder vorweg. Am Ende wurde das SPK zur kriminellen Vereinigung erklärt; Huber und seine Frau wurden zu langen Haftstrafen verurteilt und verloren ihre Approbationen. Seither haftet dem SPK der fragwürdige Ruf an, die RAF unterstützt zu haben und letztendlich in deren Terror aufgegangen zu sein. Dieser Ruf überlagert, worum es Huber und dem SPK eigentlich ging: um die Rechte von Patienten und um Therapien zur Selbstermächtigung.
In „SPK Komplex“ erzählt Dokumentarfilmregisseur Gerd Kroske über Interviews mit Hubers Weggefährten, mit Ermittlern, Richtern und Journalisten sowie über eine Fülle von unveröffentlichten Aufnahmen und Archivmaterial aus dem „Deutschen Vorherbst“ die weitgehend unbekannte Geschichte des SPK und ihrer Folgen bis heute.

Eine Geschichte vom Irresein und Irrewerden, von öffentlicher Wahrnehmung und den Mechanismen von Gewalt. (rbb online)

Sorgfältig aufbereiteter und hochspannender Dokumentarfilm von Gerd Kroske über das „Sozialistische Patientenkollektiv“ (SPK), das sich Anfang der 1970er Jahre gegen die Behandlung von psychisch Kranken in deutschen Krankenhäusern auflehnte. (FBW-Prädikat: wertvoll)

4 Könige

D 2015, Regie: Theresa von Eltz, mit Paula Beer, Jella Haase, Jannis Niewöhner, Moritz Leu, 98 Min.

Weihnachten in der Jugendpsychiatrie: Für Fedja, Alex, Timo und Lara hat das sogenannte „Fest der Liebe“ mehr mit eskalierenden Familiendramen und weniger mit gemütlicher Besinnung zu tun. Die vier Teenager gehen ganz unterschiedlich mit ihren jeweiligen Krisen um und könnten untereinander nicht verschiedener sein. Der Aufenthalt in der Psychiatrie ist zwar freiwillig, aber zu Hause wartet kaum eine bessere Situation auf sie. Über die Feiertage steht den Jugendlichen jedoch Dr. Wolff zur Seite, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, den vier Königen ihren Glauben an sich selbst zurück zu geben. Seine unkonventionelle Art zu therapieren ermöglicht dem jungen Arzt einen guten Zugang zu den Jugendlichen.
„In dem ganz aus Sicht der Jugendlichen geschilderten Drama kommen Eltern als seelisch verkrüppelte Erwachsene nicht gut weg, während die Inszenierung den kantigen Protagonisten viel Raum und Zeit widmet und zum genauen Hinschauen und Hinhören einlädt.“ (Kirsten Taylor / Filmdienst)

Vier flogen über das Kuckucksnest – Ein Element verbindet eigentlich alle Weihnachtsfilme. Eine Rührseligkeit, die ideal zu den Feiertagen passt. Friede, Freude, Eierkuchen, das ganze Brimborium, inklusive Harmonie, tollem Weihnachtsbaum, dicken Geschenken und ganz viel Kitsch. All das gibt es in 4 Könige nicht. Zwar wird eine Weihnachtsgeschichte erzählt, aber eine, die vom Kontrast lebt. (Peter Osteried / Kino Zeit)

Für die große Wirksamkeit und das Feingefühl dieser ersten Arbeit, für die überwältigende und durchdachte Schauspielkunst, für die Fotografie mit ihrer kühlen Farbigkeit, die trotzdem fähig ist, Wärme auszustrahlen, und für das wunderbare Gleichgewicht von Musik und Stille. (Rom Film Festival / presseportal.zdf)

4 Könige geht unverkrampft mit dem Thema "psychische Erkrankung" um, ist für einen Debütfilm äußerst reif und überzeugt trotz des harten Sujets vor allem mit dem bestechend aufspielenden Cast. (Björn Schneider / programmkino.de)

Die Überglücklichen

I/F 2016, Regie: Paolo Virzi, mit Valeria Bruni Tedeschi, Micaela Ramazzotti, 118 Min., DF

Die pausenlos manisch quasselnde Gräfin Beatrice gehörte einst zur gehobenen italienischen Gesellschaft. Aus Liebe zu einem Berufsverbrecher geriet sie in allerlei Konflikte mit der Justiz und befindet sich nun als Patientin in der alternativen Nervenklinik „Villa Biondi“. Hier lernt sie die schwer depressive Donatella kennen, die nach einem Suizidversuch eingeliefert wurde. Schnell nimmt Beatrice die zerbrechliche Neue unter ihre fürsorglichen Fittiche, und als sich die Gelegenheit bietet, ergreifen die beiden die Flucht. Sie wollen Donatellas Sohn finden, der in einem Heim untergebracht wurde. Es folgt eine abenteuerliche Jagd durch Italien, da ihnen die Staatsgewalt stets dicht auf den Fersen bleibt. Momente manischen Übermuts wechseln mit traurigen und stillen Augenblicken. Ein tragikomisches Roadmovie um zwei sehr gegensätzliche Frauen.

Nach dem kühlen Kapitalismus-Thriller »Die süße Gier« vollzieht Paolo Virzì erneut einen Registerwechsel. Aber auch seine Komödie über zwei entflohene Psychiatrieinsassinnen entwirft ein Sittenbild der italienischen Gegenwart. (Gerhard Midding, Evangelischer Pressedienst)

Im Innersten der tragisch-komischen Odyssee schlägt das Herz einer irgendwo zwischen „Einer flog übers Kuckucksnest“ und „Thelma & Louise“ angelegten Frauenfreundschaft. Das harmonische und mit reichlich Dialogwitz gewürzte Zusammenspiel von Valeria Bruni Tedeschi und Micaela Ramazzotti ist die reinste Freude. (Christian Horn, filmstarts.de)

Vergangene Filme aus dieser Reihe:

Einer flog über das Kuckucksnest

USA 1975, Regie: Milos Forman, mit Jack Nicholson, Louise Fletcher, Will Sampson, 134 Min., DF

Um dem Zuchthaus zu entgehen, lässt sich der mehrfach vorbestrafte Randall Patrick McMurphy in die Nervenheilanstalt einweisen. Natürlich hegt er Fluchtgedanken, doch die Psychiatrie wird für den Simulanten bald zur Hölle. Die mit Medikamenten ruhiggestellten, willenlosen Patienten stehen unter der Fuchtel von Schwester Ratched. Mit List startet McMurphy eine Revolte. Aber das System schlägt gnadenlos zurück.
Das „Irrenhaus“ als Synonym für einen reglementierungswütigen Staat, der nur angepasstes Verhalten duldet. Die düstere Parabel von Milos Forman („Amadeus“, „Goyas Geister“) ist ein Plädoyer für die Mündigkeit des Individuums und die Vielfalt des Lebens. Jack Nicholson, Louise Fletcher und Milos Forman gewannen einen Oscar. Insgesamt erhielt das Drama fünf Trophäen. Produziert wurde es u. a. von Michael Douglas, der die Filmrechte zur Romanvorlage von Ken Kesey (1962) von seinem Vater Kirk übernommen hatte.

Milos Forman's "One Flew Over the Cuckoo's Nest" is a film so good in so many of its parts that there's a temptation to forgive it when it goes wrong. But it does go wrong, insisting on making larger points than its story really should carry, so that at the end, the human qualities of the characters get lost in the significance of it all. And yet there are those moments of brilliance. (Roger Ebert, Chicago Sun 1975)

Der Film basiert auf dem gleichnamigen Roman von Ken Kesey. Der Autor hatte selbst als Aushilfe in der psychiatrischen Abteilung eines Veteranenhospitals in Menlo Park gearbei¬tet, wo die CIA bewusst¬seinsverändernde Drogen testete. Auch Elektroschocks und Eiswasserduschen waren an der Tagesord¬nung. Der Film ist ein bitterer Kommentar zum damaligen Zustand der Psychia¬trie, der eine gesell¬schaftliche Debatte entfachte und die Abschaffung der Lobotomie begünstigte. (InEx. Das Filmfestival für Inklusion und Exklusion BrotfabrikKino, 2019)