Stummfilm mit Livemusik

Was 1991 im Kino 46 in Walle als Studentenjob begann, entwickelte sich zu einer Leidenschaft und einem wiederkehrenden Ritual: Komponist und Pianist Ezzat Nashashibi begleitet regelmäßig Stummfilme im CITY 46 live am Klavier. Seine Musik besteht aus eigenen Kompositionen, vieles ist improvisiert und doch vorbereitet: "Ich sehe mir jeden Stummfilm vorher an, um die Grundstimmung zu verstehen und mich mit der Musik auf sie einzustellen", sagt er. "Es geht darum, das Innenleben der Figuren deutlich zu machen und die Handlung zu kommentieren."
Ezzat Nashashibi ist ausgebildeter Komponist, arbeitet als Pianist im Bereich Neue Musik und Improvisation und dirigierte verschiedene Ensembles. Zudem lehrt er an der Universität Bremen und der Hochschule für Künste Bremen.

Eine Seite des Wahnsinns

Kurutta Ippeiji, J 1926/72, Regie: Kinugasa Teinosuke, mit Yoshie Nakagawa, 60 Min., ohne Zwischentitel

Ein alter Seemann nimmt den Hausmeisterjob in einer ländlichen Nervenklinik an, um für seine dort internierte Frau zu sorgen. Die verkündete Verlobung ihrer Tochter löst in der Mutter Erinnerungsfetzen und Gedankenstrudel aus – und im Vater Sorgen über die Vorurteile der Bräutigamfamilie. Bei seinen vergeblichen Versuchen, seine Frau zu befreien, muss er sich dem Chefarzt und anderen Insassen stellen. Als er in einem von ihnen den künftigen Schwiegersohn zu erkennen glaubt, beginnt er selbst, an seiner Wahrnehmung zu zweifeln.
„A work that has advanced a step ahead of Dr. Caligari“, urteilte die Filmkritik bereits 1926. Aus der Avantgarde-Gruppe Shinkankaku-ha, der Schule der neuen Wahrnehmung, entstand ein Film, der das Drehbuch Kawabata Yasunaris (Literaturnobelpreis 1968) mit innovativer Kameratechnik und dem Tanztalent von Eiko Minami meisterhaft verbindet.
Lange Zeit verschollen, ist der Film seit seiner Wiederentdeckung 1972 nur noch als Fragment erhalten. Dennoch veranschaulicht dies auf eindrückliche Weise den Anspruch der Künstler*innen, modernes Erzählen und innovative Form- und Lichtspiele zu verquicken und die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Phantasterei zu überwinden.

David Eßer aus Hamburg ist seit über zehn Jahren in Deutschlands Musiklandschaft in verschiedenen Projekten aktiv. Mit der Vertonung des Films durch das Prinzip der Klangsynthese unternimmt er einen Dialog mit dem Synthesizer und entwickelt ein eigenes Vokabular, das über die Möglichkeiten des Sprachlichen und Visuellen hinausgeht.

Der Stummfilmabend war Teil des diesjährigen Symposiums im Mai und musste Pandemie-bedingt ausfallen.