Vom Gedenken zur Veränderung – Kämpfe gegen rechte Gewalt und Terrorismus

Eine Filmreihe vom Bündnis Kein-Schlussstrich-Bremen, das sich für das Gedenken an die Opfer der rassistischen Mordserie des NSU, für die Erinnerung an die vielen Schwerverletzten und Traumatisierten der Bombenanschläge und für die Erinnerung an den Schaden, den rassistische Ermittlungen und Berichterstattung anrichteten, einsetzt.

Extrem rechte Gewalt und rechter Terror in Deutschland haben bis heute Kontinuität und werden in Politik und der Mehrheitsgesellschaft verharmlost. Struktureller Rassismus und staatliche Verstrickungen werden verleugnet, Aufklärung wird teilweise aktiv blockiert.

Wir denken dabei nicht nur an den NSU Komplex (Nationalsozialistischer Untergrund), der einen der verheerendsten rechten Mord- und Anschlagsserien in Deutschland seit dem zweiten Weltkrieg darstellt, sondern auch an Walter Lübke, Halle, Hanau, Neukölln, Syke und Bremen… Die Namen der Täter*innen sind dabei oft Teil des kollektiven Gedächtnisses – nicht aber die Namen, Gesichter, Perspektiven und Geschichten der Opfer und ihrer Angehörigen. Um ihr Andenken zu würdigen und ihre Perspektiven in die Öffentlichkeit zu tragen veranstaltet das Bündnis Kein Schlussstrich von Oktober bis Dezember eine dreiteilige Filmreihe in Kooperation mit dem City 46 und der Rosa-Luxemburg-Initiative. Im Anschluss an die Filme sprechen wir über derzeitige Entwicklungen rassistischer Anschläge bzw. rechten Terrors in Deutschland, den Umgang mit Gedenken und den Angehörigen sowie das Verhältnis von staatlichen Sicherheitsbehörden und Rechtsterrorismus/ Rassismus.

In Gedenken an Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter.

Der Kuaför aus der Keupstraße

D 2015, Regie: Andreas Maus, 97 Min., dt./türk. OmU

Direkt vor dem Friseursalon von Özcan und Hasan Yildirim in der Kölner Keupstraße explodierte am 09. Juni 2004 eine Bombe gefüllt mit 800 Zimmermannsnägeln. Nur durch Zufall starb niemand. Erst viele Jahre später wurde der Anschlag dem NSU zugeordnet. Der Film konzentriert sich auf die Folgen für die Opfer und ihre Familien, gegen die jahrelang ermittelt wurde. Anhand der Verhörprotokolle und einer Rekonstruktion der Ermittlungen wird deutlich, wie institutioneller Rassismus in Ermittlungsbehörden rechten Terror stabilisiert und befördert. Die Betreiberin eines anderen Ladens in der Keupstraße formuliert das so: »Die Nagelbombe war aber nur die erste von zwei Bomben, die uns trafen, die andere, die größere war für uns, dass der Rechtsstaat versagt hat«.

Insofern ist Andreas Maus sehenswerte, anklagende Dokumentation "Der Kuaför aus der Keupstraße" neben vieler anderer Qualitäten auch ein höchst zeitgemäßer Film, der viel über dieses Land erzählt. (Michael Meyns, Programmkino)

Der Dokumentarfilm beleuchtet Hintergründe und Auswirkungen des Anschlags, wobei er unterschiedliche erzählerische Ansätze wählt, unter denen der geduldig-stille Umgang mit den Opfern besonders hervorsticht. Während er sich in exemplarischen Tableaus und szenischen Zuspitzungen entfaltet, gelingen ihm überdies Glanzstücke teilnehmender Beobachtung. (Josef Lederle, Filmdienst)

Legt den Finger in die Wunden – gut so! (cinema.de)

Spuren – Die Opfer des NSU

D 2019, Regie: Aysun Bademsoy, 81 Min., DF

Eine Mehrheit der deutschen Gesellschaft hat mit dem NSU abgeschlossen und ist dabei, ihn zu vergessen, aber der rassistische Terrorismus hinterlässt Spuren. Bei den Überlebenden, den Hinterbliebenen, den von Rassismus betroffenen Gemeinschaften und in der weißen Mehrheitsgesellschaft, aus der die Taten begangen werden. In ihrem Film “Spuren” folgt die Regisseurin Aysun Bademsoy den Spuren des rechten Terrors und gibt den Hinterbliebenen der NSU-Opfer die Hauptrollen. Sie berichten von der Gewalt des Terrors, von dem Terror der rassistischen Ermittlungen, von der Erleichterung nach der NSU-Selbstenttarnung und von der Enttäuschung über die anschließend nicht geleistete Aufklärung. Sie geben einen Einblick in ihr Leben nach und mit dem rassistischen Terror und eröffnen so eine Perspektive, die im deutschen Umgang mit Rechtsterrorismus und Rassismus häufig aktiv ausgeblendet wird.

Als ich den ganzen Umfang dieser Tragödie zu verstehen begann, wusste ich, dass ich den Angehörigen der Opfer zuhören wollte und musste, um ihnen den Raum zu geben, von sich und den Erfahrungen dieser Jahre zu erzählen. Wir hatten und haben als ganze Gesellschaft etwas gutzumachen. Mir stellte sich aber auch die Frage, ob dieses Land den Familien der Opfer überhaupt wieder das Gefühl von Sicherheit geben, ja ihnen eine Heimat sein kann? (Regisseurin Aysun Bademsoy im Interview)

Vergangene Filme aus dieser Reihe:

Der zweite Anschlag

D 2018, Regie: Mala Reinhardt, 62 Min., dt./türk. OmU

„Fragen wir uns selbst einmal, wie viele hier in diesem Raum denn die Betroffenen des NSU kennen." fragt Ibrahim Arslan, Opfer eines Brandanschlages. Nach rassistischen Gewalttaten in Deutschland stehen meistens die Täter*innen und nicht die Betroffenen im Interesse der Öffentlichkeit. Im Film wird versucht diesen Missstand aufzuheben und die Perspektive der Betroffenen in den Mittelpunkt gestellt.
Osman Taşköprü erzählt von dem Mord an seinem Bruder Süleyman durch den NSU 2001. Ibrahim Arslan und Mai Phương Kollath berichten als Betroffene von den rassistischen Brandanschlägen in Mölln und Rostock-Lichtenhagen 1992. Gemeinsam mit vielen weiteren von rassistischer Gewalt Betroffenen bilden sie ein Netzwerk und kämpfen für eine lückenlose Aufklärung.

Mala Reinhardt fragt in ihrem Film, warum viele Opfer rechtsradikaler Gewalt bis heute die gleichen Erfahrungen machen müssen, angefeindet und kriminalisiert werden. Mit beeindruckender Klarheit analysieren die Betroffenen, die sich inzwischen untereinander vernetzt haben, welche Rahmenbedingungen dafür sorgen, dass Rassismus hierzulande noch immer gesellschaftsfähig ist. Nun gilt es, zuzuhören. (Luc-Carolin Ziemann, DOK Leipzig)

Interview mit Mala Reinhardt (Regie) und Patrick Lohse (Kamera) von DER ZWEITE ANSCHLAG geführt von Luc-Carolin Ziemann (DOK Bildung) am 14.09.2018