Gespalten - Filmreihe Arbeitskreis Kirche & Kino

"Seit geraumer Zeit fühlt sich die Welt anders an. Auch früher schon gab es Interessenkonflikte und soziale Spannungen, Nationalismus und extreme Meinungen. Doch die Kommunikationsstörungen zwischen den verschiedenen Lagern scheinen immer mehr zuzunehmen. Nur in einem sind sich alle einig: Das Land, der Kontinent, die Welt ist GESPALTEN. Die Risse gehen durch die Gesellschaft, die Familien und nicht zuletzt die Individuen selbst. In seiner aktuellen Filmreihe zeigt der Arbeitskreis Kirche & Kino Bremen unterschiedliche filmische Auseinandersetzungen mit diesem Phänomen."

Dirk von Jutrczenka, Leitung forum Kirche

Die Wütenden – Les Misérables

F 2019, Regie: Ladj Ly, mit Damien Bonnard, Issa Perica, 103 Min., OmU

Im Pariser Vorortviertel Montfermeil führen Bandenkriminalität und Gewalt zu harten Auseinandersetzungen zwischen Gangs und Polizei. Das spürt der junge Polizist Stéphane gleich bei seinem ersten Einsatz in der Einheit für Verbrechensbekämpfung. Seine erfahrenen Kollegen Chris und Gwada haben sich dem rauen Ton angepasst und überschreiten durch Gewalt, Schikanen und Korruption selbst die Grenzen des Legalen. Als sie eines Tages bei einem eskalierenden Einsatz gefilmt werden, gehen die Bilder der übergriffigen Polizisten schnell im Viertel herum. Auf einmal tauschen „Gesetzeshüter” und Gejagte die Rollen. Regisseur Ladj Ly stammt selbst aus Clichy-Montfermeil. Im Alter von 25 Jahren hat er mit dem französischen Künstlerkollektiv Kourtrajmé den Dokumentarfilm „365 Jours à Clichy-Montfermeil“ über sein Viertel während und nach der Ausschreitungen 2005 gedreht. Nun rollt er das Thema in der Fiktion noch einmal auf.
„Ein meisterlich inszenierter Film über die explosive Gemengelage an Fronten und Fraktionen in den französischen Banlieues. Ohne einseitige Schuldzuschreibungen greift das fein gezeichnete Drama brandaktuelle gesellschaftliche Strömungen auf und sensibilisiert eindrücklich für die unkalkulierbaren Gefahren, die aus jeglicher Form der Ausgrenzung erwachsen.“ (www.filmdienst.de)
„Preis der Jury“ beim Festival de Cannes 2019 und Oscar-Kandidat.

Doch die Qualität von DIE WÜTENDEN liegt gerade im Umstand, dass seine Protagonisten nicht polarisieren, sondern allesamt Teil der Gewaltspirale sind. Das gibt dem Film zweifellos eine nihilistische Grundtendenz, die jedoch zugleich eine tiefe Bemühung um sozialen Realismus erkennen lässt. (Prädikat: besonders wertvoll, FBW-filmbewertung.com

Niemand ist hier nur gut oder nur böse […] Und so entsteht das Bild einer Gesellschaft, die jene am Rand längst aufgegeben und vergessen hat. Die froh ist, solange diejenigen stillhalten, sich mit Drogen betäuben und sich gegenseitig bekriegen. Die ihre Macht missbraucht, denn selbst diejenigen, die das Gesetz hier umsetzen sollen, haben Angst oder sind korrupt. Auch sie wissen um den Druck, den eine solche Situation erzeugt, doch alles, was sie tun können, ist die Entladung des Drucks wieder einen Tag aufzuschieben. (www.kino-zeit.de)

Camino a La Paz

Der Weg nach La Paz – ARG 2015, Regie: Francisco Varone, mit Rodrigo de la Serna, Ernesto Suárez (II), 94 Min., span. OmU

Sebastián hat zwei Leidenschaften: Die Rockband »Vox Dei« und seinen alten, aber gut gepflegten- und heißgeliebten, Peugeot 505. Frisch verheiratet und pleite, hört er zufällig von einer Stelle als Chauffeur, die er schon wegen der großzügigen Bezahlung nicht ablehnen kann: Sebastián soll Jalil, einen älteren Herrn und strenggläubigen Muslim von Buenos Aires in Argentinien in die 3.000km entfernte bolivianische Metropole La Paz fahren. Die Fahrt entpuppt sich allerdings als Zerreißprobe für Sebastians Nerven: Jalil isst in Sebastiáns geliebtem Peugeot, lädt ungefragt Mitfahrer ein und verlangt permanent Gebets- und Toilettenpausen. Auf dem Dach befindet sich noch Jalils sperriges Dialysegerät, das er zum Überleben braucht. Eigentlich hat Jalil die Reise minutiös geplant, doch dann kommt alles ganz anders.

Regisseur Francisco Varone entführt auf eine von den rockigen Blues-Klängen der, bereits seit 50 Jahren bestehenden, argentinischen Band Vox untermalte Reise, mit humorvoll-unterhaltsamen sowie dramatischen Episoden, auf der zwei unterschiedliche Weltanschauungen und Lebenskonzepte zusammenprallen. (Unabhängiges Filmfest Osnabrück)

HERRliche Zeiten

D 2018, Regie: Oskar Roehler, mit Katja Riemann, Oliver Masucci, Samuel Finzi, 110 Min., FBW-Prädikat: wertvoll

Eigentlich ist es mehr als Scherz gemeint, als der wohlhabende Schönheitschirurg Claus Müller-Todt und seine abgespannte Ehefrau Evi eine Annonce aufgeben, in der sie nach einem Sklaven oder einer Sklavin suchen. Jedoch scheint der angehende Butler Bartos das keineswegs für geschmacklos zu halten. Ganz im Gegenteil. Als neue Hilfe im Hause Müller-Todt setzt er alles daran, Luxus pur in die Tat umzusetzen und bietet seinem neuen „Herren” sogar seine Frau Lana als Gespielin an. Die Situation eskaliert, als Bartos anfängt, immer mehr Schwarzarbeiter einzustellen.
Polarisierung ist für Regisseur Roehler („Elementarteilchen”; „Jud Süß – Film ohne Gewissen”) sicherlich kein Fremdwort. Sein neues Werk basiert auf der Vorlage „Subs”des wegen AfD-Nähe in Ungnade gefallenen Autors Thor Kunkel. Statt sich von Kunkels politischen Meinungen abzugrenzen, bleibt Roehler dabei, das Werk seines „Kumpels” Kunkel sei großartiger Filmstoff, man dürfe ihn nicht schassen nur weil er „rechts sei”.

Suburbia-Horror im Rheinland. Ein gut situiertes Ehepaar engagiert einen mysteriösen Butler, der sich als mephistophelischer Hardcore-Dienstleister erweist. Eine bitterböse schwarze Komödie und ein Anti-Feelgood-Film, von Oskar Roehler farbig, sinnlich und provokant inszeniert.
Hans Schifferle, www.epd-film.de

In zwei Wochen kommt Oskar Roehlers neuer Film „HERRliche Zeiten" nach einem Roman von Thor Kunkel ins Kino. Jetzt beschwert sich der Autor, dass er wegen seiner rechten Gesinnung aus dem Projekt gedrängt werde. Was ist da dran?
Ronald Düker, auf Zeit Online 2018, www.zeit.de

 

Kriegerin

D 2011, Regie: David Wnendt, mit Alina Levshin, Jella Haase, 102 Min., FBW- Prädikat besonders wertvoll

Die 20-jährige Marisa aus einer ostdeutschen Kleinstadt rennt wie eine Rasierklinge durchs Leben. Wenn ihr jemand dumm kommt, schlägt sie zu, selbst wenn das die eigenen Leute aus der Jugendclique sind, die sich der rechtsextremen Szene zugehörig fühlen. Der Respekt, den sich Marisa dadurch verschafft hat, wird allerdings durch Svenja bedroht. Die ist erst 15, stammt aus gutbürgerlichem Haus und ist von der Neonaziszene fasziniert. Ihren Hass auf die „Gesellschaft“, die auch ihren Freund hinter Gitter gebracht hat, lässt Marisa vor allem an Ausländern aus. Als sie Jamil und Rasul, zwei junge Asylbewerber auf dem Moped nach einem Streit absichtlich mit dem Auto rammt, löst sie eine Kette von Ereignissen aus, die ihr Weltbild ins Wanken geraten lassen und von ihr einen hohen Preis fordern.

fbw-filmbewertung

"Niemand will das neue Hoyerswerda sein"
Wie definieren sich Frauen in der rechten Szene? In seinem Film "Kriegerin" setzt sich der Regisseur David Wnendt mit der Ideologie weiblicher Neonazis auseinander.
Von Martin Schwickert auf www.zeit.de

„Ihr Kampf“
Das Kino liebt nun mal die starken, jungen Frauen. Was aber ist von dieser zu halten? Marisa, 20, schlägt hemmungslos zu, wenn sie mit ihren Freunden Jagd auf Ausländer macht. Wer den ostdeutschen Nahverkehr nutzt, aber fernöstliche Vorfahren hat, bekommt von ihr was auf die Fresse. Wer halbwegs zivilcouragiert dagegen protestiert, wird von ihr zumindest zusammengebrüllt - sofern ihn kein Baseballschläger mitten ins Gesicht trifft.
Von Jörg Schöning auf www.spiegel.de